Covid-19: eine Ausnahme-Belastung für medizinisches Personal und Personen in der Pflege
Die aktuelle medizinische Situation zur Behandlung Covid-19 Erkrankter ist durch die große Bedrohung durch das Virus selbst, die Unsicherheit zur lokalen Ausstattung, Mangel an Personal und Mangel an Material und bekannten Behandlungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Für alle ist diese Situation erstmalig, so etwas haben wir noch nie erlebt. Diese Situation löst Stress aus, besonders im medizinischen Kontext, in dem aktuell besonders viel von den MitarbeiterInnen gefordert ist.
Corona-Krise, eine lang andauernde Belastung
Stress entsteht dann, wenn eine Situation relevant, unkontrollierbar, durch hohen sozialen Druck und durch Zeitdruck gekennzeichnet ist. Die „Corona-Krise“ erfüllt damit alle Merkmale eines substanziell belastenden andauernden Stressors, im Einzelfall sogar einer potentiell traumatischen Situation.
Körperliche Reaktionen auf starke andauernde Belastungen
Wir reagieren auf andauernde starke Belastung nicht nur psychisch, sondern auch mit unseren körperlichen Stresssystemen: eine wichtige Rolle spielen hierbei Neurotransmitter im Gehirn und Hormone, die die Stressreaktion unmittelbar, aber auch langfristig regulieren.
Was passiert genau?
So steigt unmittelbar (vermittelt über Adrenalin und Noradrenalin) die Herzrate an, der Blutdruck steigt, die Venen ziehen sich zusammen, Zucker wird unmittelbar umgesetzt, um den Muskeln Energie zu geben. Es stehen sofort mehr Sauerstoff und Energie zu Verfügung, um mit der Situation umzugehen, um eine „fight or flight“-Reaktion zu ermöglichen.
Langsamer, über die Ausschüttung von Glucocorticoiden (z.B. Cortisol), wird die Verdauung beeinflusst, die Aktivität von Geschlechtshormonen und die Immunantwort werden unterdrückt. Diese unterdrückte Immunantwort bedeutet, dass wir im Augenblick großer akuter Belastung selbst weniger krank werden (das kommt dann später, wenn wir wieder entspannen…).
Wichtig ist: die starke Stress-Reaktion auf eine belastende Situation ist normal und gesund! Menschen unterscheiden sich zwar deutlich darin, auf welche belastenden Situationen sie wie stark reagieren (was für die eine Person ganz selbstverständlich ist, bringt eine andere möglicherweise aus dem Gleichgewicht), aber wir alle brauchen ein bestimmtes Maß an Aufregung, damit wir gesund bleiben. Schnell-reagierende körperliche Stresssysteme halten uns beweglich, geistig wach und orientiert. In einer umgekehrten U-Kurve reagiert der Organismus auf die zunehmende Intensität einer Belastung (eines Stressors), es gibt einen optimalen Anspannungsbereich, in dem die Leistung am höchsten ist, und dieser unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.
Auch wichtig ist: wir können auf der körperlichen Ebene (also z.B. an der Herzrate oder dem Cortisol-Spiegel) nicht ablesen, ob ein Stressor positiv oder negativ empfunden wird! Mit anderen Worten, dem Körper merkt man nicht an, ob eine Person gerade vom Joggen zurückkommt, oder sie massive Angst empfunden hat. Entscheidend ist, wie lange die Belastung anhält. Der Körper braucht unbedingt Zeit, um wieder runterzufahren, um wieder ruhig zu werden.
Was kann ich tun?
Kontrollierbarkeit herstellen
Versuchen Sie, eine minimale Routine in Ihren aktuellen Arbeitstag zu integrieren. Ideal wären ein fester Schlaf- und Wachrhythmus, feste Essenszeiten. Das ist bei Diensten und Arbeit in Schichten aber vielleicht nicht möglich. In diesem Fall reicht ein kleines Ritual aus, z.B.:
- ein bestimmter Tee oder Kaffee
- ein bestimmter Geruch (Duschgel, Seife, Rasierwasser, Parfum)
- eine Süßigkeit
- den aktuellen Lieblingssong hören
Studien haben gezeigt, dass Rituale allein (auch, wenn sie selbst nicht sinnvoll sind) die Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit steigern.
Sinnhaftigkeit suchen
Sinnhaftigkeit im eigenen Tun ist ein ganz zentraler Resilienzfaktor. Resilienz meint Widerstandskraft bei einer gegebenen Belastung – und die haben Sie aktuell! Sie helfen aktuell! Sie tun alles, was in Ihrer Macht steht, um die aktuelle Situation zu bewältigen!
Was Sie sich sagen können:
Mit meiner Arbeit leiste ich einen wichtigen Beitrag, um mit der aktuellen weltweiten Krise umzugehen. Ich tue mein Bestes.
Heute habe ich schon ganz gut hinbekommen.
Niemand kann alles können. Ich kann gut (z.B. organisieren, anderen zuhören, Gedanken strukturieren, ablenken, auch mal was anderes denken, meine Emotionen ausdrücken). Das ist wichtig in der aktuellen Situation.
Das möchte ich mir auch in der aktuellen Situation erhalten: (z.B. meine klare Urteilsfähigkeit, überlegt handeln, auf andere eingehen).
Soziale Unterstützung suchen
Soziale Unterstützung (die Wahrnehmung, dass man Hilfe bekäme, wenn man sie denn bräuchte, dass andere einen schätzen und mögen, dass andere in der Not da wären) und eingebunden sein in ein soziales Netzwerk gehören zu den stärksten Stresspuffern, die es gibt. Wir versichern uns sozialer Unterstützung im Alltag häufig über Berührungen, Blicke, Worte und Taten. Berührungen sind aktuell nicht möglich und die notwendige soziale Distanz macht auch Blicke und das nahe Gespräch schwieriger. Sie werden bemerkt haben, dass aktuell möglicherweise weniger Unterstützung bei Ihnen ankommt, als Sie bräuchten. Da sind Forschungsergebnisse interessant, die zeigen, dass auch Unterstützung geben die eigene Stressantwort reduzieren kann! Sie können also andere sehr eigennützig unterstützen.
Nehmen Sie dies als Aufgabe mit an Ihren Arbeitsplatz mit: überlegen Sie sich für jeden Ihrer Mitarbeiter/ für jede Ihrer Mitarbeiterinnen eine unterstützende und positive Rückmeldung („Das kannst Du gut.“, „Da hast Du mir geholfen“, „Ich bin froh, dass Du da bist“). Auch wenn Sie das nur denken und es gar nicht dazu kommt, dass Sie es aussprechen (das würde allerdings den Effekt verstärken), wird das Ihre Stressantwort reduzieren.
Symbole des Wechsels nutzen
Als Menschen arbeiten wir mit Symbolen, wir schaffen uns Repräsentationen für komplexe Zusammenhänge, das passiert ganz automatisch. Nutzen Sie dieses Phänomen in der aktuell schwierigen Situation: schaffen Sie sich Symbole des Wechsels zwischen Arbeit und Privatleben.
Ein solches Symbol ist das Anziehen der Schutzkleidung. Sie schützen sich mit der Schutzkleidung auch psychisch selbst, ziehen Sie sich eine Hülle an, die Sie als Person in einem ganz anderen Kontext agieren lässt als sonst. Ziehen Sie die Schutzkleidung bewusst an – jetzt beginnt Ihre Schicht. Auch das Händewaschen kann ein Symbol sein, das Tragen des Kittels, der Maske etc.
Genauso nach der Arbeit: Streifen Sie mit der Schutzkleidung auch die Arbeit ab – bis zu Ihrer nächsten Schicht. Nutzen Sie das Händewaschen als Symbol. In psychotherapeutischen Rollenspielen streifen wir eine Rolle auch körperlich von uns ab, das können Sie auch: streifen Sie diese Schicht ab, sagen Sie sich: Das war‘s für heute.
An Vorbilder denken
Wer sind Ihre Vorbilder und HeldInnen? Was teilen Sie mit diesen HeldInnen? In unserem Gehirn können Bilder und Imaginationen so intensiv repräsentiert werden, wie wirklich Erfahrungen.
Stellen Sie sich selbst auf dem Weg zur Arbeit vor Ihrem inneren Auge kurz als HeldIn vor:
- Was genau ist Ihre Stärke?
- Wie sehen Sie aus?
- Wie fühlt sich das an?
- Welchen Einfluss hat das auf Ihre Umwelt?
Das ist nicht peinlich, niemand merkt das! Es ist auch nicht schlimm, wenn Sie in der Realität anders sind, oder die Realität selbst anders ist – für eine kurze Zeit haben Sie sich Kraft und Stärke gegeben.
Grübeln reduzieren
Nach einer längeren Phase starker psychischer Belastung können Grübelattacken auftreten. Grübeln und Gedankenschlaufen stellen für sich gesehen schon eine Belastung dar und sie lassen sich nicht leicht abstellen. Grundsätzlich gilt: die Grübelgedanken gehen nicht weg, wenn Sie versuchen, nicht daran zu denken. Wir können im Wachzustand nicht nicht denken. Gegen Grübelgedanken helfen deshalb nur andere Gedanken. Sehr hilfreich haben sich bei Grübeln Achtsamkeitsübungen erwiesen und es gibt im Netz seriöse Quellen, die Audio-Anleitungen zu Achtsamkeitsübungen anbieten:
https://www.mbsr-verband.de/kurse/privatpersonen
(weitere online-Quellen siehe unten)
Ruhepausen einlegen
Ein reagibles Stresssystem ist normal und gesund, eine unmittelbare starke Stressantwort hält unseren Körper „am Laufen“. Aber langfristig hält der Organismus starke Belastung nur durch, wenn regelmäßig Zeit für Ruhepausen ist.
Nun kann es sein, dass es Ihnen aktuell schwerfällt oder schlicht nicht möglich ist, Ruhepausen während der Arbeit einzubauen oder nach der Arbeit abzuschalten. Wenn Sie bereits früher ein Entspannungsverfahren gelernt haben, sollten Sie das jetzt wieder nutzen. Sowohl Autogenes Training, als auch Progressive Muskelrelaxation sind sehr gut etablierte wirkungsvolle Entspannungsverfahren, die Anleitungen können Sie auch im Internet nachverfolgen, sie sind allerdings eher zeitaufwändig. Wenn Sie bereits geübt sind, können Sie auch kurze Sequenzen dieser Verfahren im Arbeitsalltag einbauen. Ansonsten können die folgenden kurzen Körper- und Atemübungen helfen.
Mini-Körper und Atemübung für Ruhepausen
Mini-Körperübung:
- Atmen Sie ein und gehen Sie beim Ausatmen in einen Ausfallschritt. Schieben Sie Ihre Arme nach vorne, so, als wollten Sie etwas von sich wegschieben. Zum Einatmen wieder zurückgehen.
- Strecken Sie Ihre Arme diagonal nach oben aus und atmen Sie ein paarmal tief ein und aus
Mini-Atemübung:
In Belastungssituationen wird häufig die Atmung flacher (Hyperventilation), was auch Sinn macht, da unmittelbar mehr Sauerstoff benötigt wird. Um zur Ruhe zu kommen, sollte die Sauerstoffkonzentration im Blut allerdings wieder abnehmen. Dann kann die Konzentration auf das Ausatmen hilfreich sein.
Mit dieser sehr einfachen Übung senken Sie den Sauerstoffgehalt im Blut, weil Sie sukzessive länger aus- als einatmen. Sie können diese Übung auch als Einschlafübung trainieren:
Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem und zählen Sie während Ihren Atemzügen einen Takt mit.
- Atmen Sie auf 4 Schläge langsam aus. Atmen Sie dann auf 4 Schläge ruhig ein.
- Atmen Sie auf 4 Schläge langsam aus. Atmen Sie dann auf 3 Schläge ruhig ein.
- Atmen Sie auf 4 Schläge langsam aus. Atmen Sie dann auf 2 Schläge ruhig ein.
- Atmen Sie auf 4 Schläge langsam aus. Atmen Sie dann auf 1 Schlag ruhig ein.
Beginnen Sie wieder von vorn: auf 4 Schläge ausatmen… auf 4 Schläge einatmen…
Übungen zur Psychohygiene
In der Traumarbeit werden häufig Imagionsübungen verwendet, wie z.B. die Bilder innerer Ruhe und Kraft, „der Baum“ oder „Ort der Geborgenheit“.
In der Traumarbeit werden häufig Imagionsübungen verwendet, wie z.B. die Bilder innerer Ruhe und Kraft, „der Baum“ oder „Ort der Geborgenheit“. Links zu Audiofiles von diesen Imaginationsübungen finden Sie ebenfalls auf dieser Website.
Vertiefende Literatur und Übungen im Netz
Stress und Stressbewältigung:
Reddemann, L. (2003). Imagination als heilsame Kraft. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta.
Ditzen, B., & Ehlert, U. (2014). Stress und stressabhängige körperliche Störungen. In D. Vaitl & F. Petermann (Eds.), Entspannungsverfahren. Das Praxishandbuch, 3. Auflage (pp. 175-189). Weinheim: Beltz.
Heinrichs, M., Stächele, T., & Domes, G. (2015). Stress und Stressbewältigung. Fortschritte der Psychotherapie, Band 58 (Herausgeber: K. Hahlweg, M. Hautzinger, J., Margraf, & W. Rief). Göttingen: Hogrefe.
Nater, U. M., Ditzen, B., & Ehlert, U. (2011). Stressabhängige Körperliche Beschwerden. In U. Wittchen & J. Hoyer (Eds.), Klinische Psychologie und Psychotherapie, 2. Auflage (pp. 1040-1052). Berlin, Deutschland: Springer.(Reddemann, 2003)
Achtsamkeit/ Mindfulness:
Es gibt auf Youtube das Hörbuch: Gesund durch Meditation von Jon Kabat-Zinn und hier eine kurze Anleitung fünf verschiedener Übungen (ohne Bild):
https://www.youtube.com/watch?v=NbUXPvJs_mk&list=PLkBlhHhHvscxoRRbeqKfr0mPIE1UmeiwL&index=11
Oder von einer MBSR Ausbildnerin, Silvia Wiesmann, eine Audio-Anleitung: