Förderung der psychischen Gesundheit älterer Menschen und deren Versorgung mit Psychotherapie während der Coronakrise

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und der Interessengruppe „Klinische Gerontopsychologie und Psychotherapie im höheren Lebensalter“ der DGPs-Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie

 

Der Gefahr einer Altersdiskriminierung entgegentreten

Viele Forschungsbefunde über Menschen im höheren Lebensalter demonstrieren unzweifelhaft, dass die Unterschiedlichkeit innerhalb der Gruppe älterer Menschen wesentlich größer ist als in der Gruppe Jüngerer[i]. Es gibt auf der einen Seite des Spektrums die ‚fitten Älteren‘, die eine bessere gesundheitliche Konstitution haben als manche 40-Jährigen. Auf der anderen Seite gibt es aber gerade in dieser Altersgruppe Pflegebedürftige und Menschen mit Vorerkrankungen, denen ein schwerer Verlauf einer potentiellen COVID-19-Infektion droht. Vor diesem Hintergrund ist es altersdiskriminierend, alle Menschen über 65 Jahren lediglich auf der Basis des chronologischen Alters zur Risikogruppe zu erklären. Solche pauschalen Einschätzungen älterer Menschen sind eher Folge eines negativen Altersbildes als empirischer Befunde zur Gesundheit älterer Menschen[ii].

Aussagen über das Risiko für eine COVID-19-Infektion sind immer nur statistische Aussagen und keine individuellen Diagnosen. Dass chronische Erkrankungen und eine reduzierte Immunantwort mit dem Alter zunehmen, lässt keine Aussage über die einzelne Person über 65 zu. Es muss immer das individuelle Risiko- und Resilienzprofil in Betracht gezogen werden. Was psychologische Resilienz angeht, zeigt die Forschung ganz klar, dass eine Reihe von Ressourcen wie Bewältigungsfähigkeiten und soziale Verantwortung mit dem Alter zunehmen. Dies in der öffentlichen Diskussion zu vernachlässigen, ist eine weitere Facette der Altersdiskriminierung.

Denn die Gefahr einer solchen Altersdiskriminierung sind negative Folgen für die psychische Gesundheit älterer Menschen. Als besondere Opfer der Coronakrise oder gar die Schuldigen für starke Restriktionen dargestellt zu werden, kann das Selbstwertgefühl reduzieren und unangemessene Schuldgefühle auslösen. Die Möglichkeit für soziale Kontakte zu nehmen, kann Einsamkeit und Depressivität begünstigen. Wir fordern daher eine differenziertere öffentliche Kommunikation über ältere Menschen, die auch jetzt in der Coronakrise eine wertvolle Stütze der Gesellschaft sind (siehe beispielsweise die vielen helfenden pensionierten Ärzt/innen und die Großeltern, die durch Telefonate ihre Kinder und Enkelkinder ermutigen durchzuhalten)[iii].

Aktivitäten älterer Menschen unterstützen und nicht verhindern

Eine Reduktion von (körperlichen, mentalen, sozialen) Aktivitäten ist – das zeigen epidemiologische Untersuchungen recht eindeutig – ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Reihe psychischer Störungen, unter anderem einer Depression und Demenz. Aus diesem Grund ist es von großer Wichtigkeit, älteren Menschen Möglichkeiten für diverse Aktivitäten zu geben, wenn durch die Einschränkungen andere Möglichkeiten genommen werden. Wenn eine individuelle Risiko- und Resilienzprüfung es zulässt, sollten ältere Arbeitnehmer/innen und freiwillige Helfer/innen über 65 selbstverständlich an ihren Arbeitsplatz kommen können.

Wir unterstützen auch die Forderung nach schneller und breitflächiger Versorgung von Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten sowie pflegenden Angehörigen mit Testmöglichkeiten, Masken und Schutzkleidung. In Einrichtungen der stationären Langzeitpflege sollten Räume für die Begegnung von Bewohner/innen mit ihren Angehörigen unter Einhaltung der Hygienevorschriften eingerichtet werden, wie das verschiedentlich in Deutschland bereits geschieht. Außerdem sollten Pflegeeinrichtungen mit digitalen Kommunikationsmedien wie Tablets ausgestattet werden, so dass die Bewohner/innen unter Anleitung mit ihren Angehörigen über Videotelefonie kommunizieren können[iv].

Organisationen der Altenhilfe sollten finanzielle und politische Unterstützung bekommen, ihre Angebote an Aktivitäten und sozialer Partizipation an die Sicherheitslage anzupassen, z. B. Lieferstrukturen für Dinge des täglichen Bedarfs, Angebote der Nachbarschaftshilfe und die breite Einsetzung von Nothilfeteams zur Unterstützung älterer Menschen in Notlagen[v]. Für Details hierzu verweisen wir auf eine ausführliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie[vi].

Telefontherapie neben Videotherapie ermöglichen

Psychotherapie im höheren Lebensalter ist wirksam, wie viele internationale Wirksamkeitsstudien belegen. Auch zu internet-, video- und telefon-basierter Psychotherapie mit älteren Menschen gibt es bereits Forschung. Wenn Psychotherapie im herkömmlichen Präsenzformat momentan schwierig umzusetzen ist, so sollte der Zugang internet-, video- und telefon-basierter Psychotherapie auch für ältere Menschen breitflächiger und proaktiv ermöglicht werden. Wir freuen uns, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband die Begrenzungsregelungen bezüglich Videotherapie aufgehoben haben und diese nun vollumfänglich und uneingeschränkt angeboten werden kann. Jedoch ist für einen Teil älterer Menschen, die nicht über die motivationalen, kognitiven, körperlichen und technischen Voraussetzungen verfügen, die Telefontherapie zwingend notwendig. Wir fordern daher, dass auch – insbesondere für diese Gruppe von Menschen – die Telefontherapie vollumfänglich und uneingeschränkt erbracht und abgerechnet werden kann. Denn auch diese kann nachweislich die psychische Symptomatik älterer Menschen reduzieren.

Kontakt bei Rückfragen:

Prof. Dr. Simon Forstmeier (Universität Siegen, Sprecher der Interessengruppe Klinische Gerontopsychologie und Psychotherapie im höheren Lebensalter)

Prof. Dr. Gabriele Wilz (Universität Jena, Sprecherin der Interessengruppe Klinische Gerontopsychologie und Psychotherapie im höheren Lebensalter)

Prof. Dr. Eva-Marie Kessler (MSB Medical School Berlin)

Die Interessengruppe „Klinische Gerontopsychologie und Psychotherapie im höheren Lebensalter“ besteht aus klinischen Psycholog/innen, die sich mit Menschen im höheren Lebensalter in Forschung und/oder psychotherapeutischer Praxis beschäftigen. In dieser Stellungnahme möchten wir drei Forderungen stellen, die aus unserer Sicht besonders wichtig sind, um die psychische Gesundheit älterer Menschen während der Coronakrise zu erhalten, zu fördern und gegebenenfalls mit psychotherapeutischen Interventionen zu verbessern.

https://www.klinische-psychologie-psychotherapie.de/index.php/interessengruppen/klinische-gerontopsychologie

[i] Tesch-Römer, C., Vogel, C., Wettstein, M. & Spuling, S. M. (2020). Alte Menschen sind unterschiedlich, auch in der Corona-Krise. DZA-Fact Sheet. Berlin: Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA).

[ii] Spuling, S. M., Wettstein, M. & Tesch-Römer, C. (2020). Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise. DZA-Fact Sheet. Berlin: Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA).

[iii] Ayalon, L., Chasteen, A., Diehl, M., Levy, B., Neupert, S.D., Rothermund, K., Tesch-Römer, C., Wahl H.W. (2020). Aging in Times of the COVID-19 Pandemic: Avoiding Ageism and Fostering Intergenerational Solidarity. J Gerontol B Psychol Sci Soc Sci. 2020 Apr 16.

[iv] Endter, C., Hagen, C. & Berner, F. (2020). Ältere Menschen und ihre Nutzung des Internets. Folgerungen für die Corona-Krise. DZA-Fact Sheet. Berlin: Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA).

[v] Kümpers, S., Olbermann, E., Strümpen, S. & Hämel, K. (2020). Soziale Notlagen älterer Menschen im Zuge der Covid-19 Pandemie: Empfehlung zur Einrichtung, Unterstützung und Förderung lokaler Nothilfeinitiativen. Berlin: DGGG.

[vi] Kessler, E., Strumpen, S., Kricheldorff, C., Franke, A., Pantel, J. & Gellert, P. (2020). Partizipation und soziale Teilhabe älterer Menschen trotz Corona-Pandemie ermöglichen. Berlin: DGGG.