Ältere Menschen: Es ist gesund, negativen Altersstereotypen in der Corona-Zeit entgegenzuwirken!

„Ältere Menschen haben ein höheres Sterblichkeitsrisiko auch ohne Vorerkrankungen. Sie sind besonders schutzbedürftig. Ältere Menschen sind tapfer. Anstatt die gesamte Bevölkerung sollte man ältere Bevölkerungsgruppen isolieren. Altersgrenzen sollten bei Triageentscheidungen herangezogen werden. Altersgrenzen dürfen bei Triageentscheidungen nicht herangezogen werden.“

Dies waren klassische und sich ständig wiederholende Aussagen, vor allem in der Anfangsphase der öffentlichen Pandemiekommunikation. Sollten ältere Menschen heute sagen: „Forget it“ oder „Schwamm drüber“? Die Psychologische Forschung zur Bedeutung von Altersstereotypen und Altersdiskriminierung sagt: Nein!

Negative Altersstereotype sind schnell ausgelöst – und haben bedenkliche Langzeitfolgen

Viele Studien zeigen mittlerweile: Ältere Menschen sind sehr empfänglich für negative Alterszuschreibungen und negative Altersstereotype. Vor allem, wenn dies durch „Experten“ und Personen mit hohem Status wie Politikerinnen und Politiker geschieht. Positive Sichtweisen auf das Alter werden demgegenüber leider nur sehr wenig in der gesellschaftlichen Diskussion besprochen, so dass negative Bilder für ältere Menschen schnell zu sogenannten „negativen Identitätsstiftern“ werden können.

Leider wissen wir heute vor allem durch Längsschnittstudien nur allzu gut, dass gesellschaftliche Negativzuschreibungen in Bezug auf das Alter eine Reihe von unguten Wirkungen nach sich ziehen. Sie können zu erhöhten Krankheitsrisiken führen, zu weniger körperlicher Aktivität und einer reduzierten Motivation, eigentlich noch Mögliches und Erwünschtes auch tatsächlich zu tun.

Diese Erkenntnisse lassen sich durchaus auf die Corona-Krise und ihre Folgen in der öffentlichen Kommunikation anwenden. Demnach könnte sich die Infektionsempfindlichkeit älterer Menschen auch dadurch erhöhen, dass diese für sich selbst die negativen Altersstereotypen annehmen. Experimentelle und Langzeitstudien haben zudem gezeigt, dass negative Alterssichtweisen auch mit einer höheren Produktion von C-reaktivem Protein einhergehen, das wiederum entzündliche Prozesse befördern kann. Diese wiederum gehen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie mit geistigen Einschränkungen einher.

Ja, aber ich gehöre doch als alter Mensch zur Risikogruppe?

Natürlich würde die psychologische Stereotypforschung in Bezug auf ältere Menschen nicht sagen, dass es keinen Risikoanstieg hinsichtlich der Ansteckung und schwerwiegender gesundheitlicher Folgen gibt. Aber:

Ältere Menschen sind erstens gleichzeitig die heterogenste Altersgruppe in unserer Gesellschaft. Viele haben, soweit wir dies heute wissen, kein erhöhtes Risiko gegenüber zum Beispiel mittelalten Menschen zwischen 40 bis 65 Jahren. Gleichzeitig ist das Risiko auch für schwere Verläufe bei Jüngeren deutlich unterschätzt worden, wie wir jetzt sehen.

Zweitens haben nicht alle Älteren bedeutsame Vorerkrankungen, sondern nur Untergruppen. Selbst bei den über 90-Jährigen sind dies wahrscheinlich weniger als 50%, bei den über 65-Jährigen etwa 20%. Gleichzeitig sind die Gruppen mit relevanten Vorerkrankungen bei den 40-65-Jährigen keineswegs unerheblich, wenn wir zum Beispiel auch die psychisch Kranken mit ins Bild nehmen.

Habe ich als alter Mensch ein Recht, auch in der Corona-Krise ernstgenommen zu werden?

Auf jeden Fall. In Deutschland leben 17,5 Mio. über 65-Jährige, von denen sich sehr viele ehrenamtlich in unserer Gesellschaft engagieren und die millionenfach zur Enkelbetreuung beitragen. Das darf keinen Moment in der öffentlichen Diskussion verloren gehen. Wir Psychologinnen und Psychologen machen uns dafür stark, dass man sich in der öffentlichen Kommunikation anstrengt und differenziert bleibt, wenn es um ältere Menschen geht, von denen nur etwa 4% in Heimen leben.

In Extremsituationen – die wir dankenswerter Weise in Deutschland bislang wohl kaum hatten – kann es schnell dahin kommen, dass lange gegen kurze Leben abgewogen werden nach dem Motto: „Der alte Mensch hat doch sein Leben schon gelebt.“ Eine solche Sichtweise widerspricht einem Konzept lebenslanger Entwicklung, das heute in der Psychologie favorisiert wird. Danach gibt es keine mehr oder weniger wertvolle Lebensphase, sondern die Gesamtheit aller Lebensphasen muss immer im Mittelpunkt stehen, wenn wir Menschen gegenübertreten und ihr Leben verstehen wollen.

Kann ich selbst als älterer Mensch etwas tun oder rollen die Altersstereotype über mich hinweg wie ein Tsunami?

Ja, Sie können etwas tun:

  • Lassen Sie pauschale Sichtweisen zum Älterwerden für Ihr Leben nicht zu.
  • Halten Sie sich gerade in dieser Corona-Zeit die positiven Aspekte Ihres späten Lebens sehr deutlich vor Augen. Schreiben Sie diese auch gerne auf. Das macht die Dinge manchmal deutlicher.
  • Wehren Sie sich, wenn jemand Sie als „Risikogruppe“ anspricht, statt als ganz normalen Menschen.
  • Schreiben Sie einen Leserbrief, wenn Sie Ähnliches in den Medien finden.
  • Informieren Sie sich über Stellungnahme zu Covid-19 der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, die intensiv zu Corona und Alter Stellung bezogen hat: https://www.bagso.de/
  • Schauen Sie auch einmal auf die Homepage der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, falls Sie Angehörige mit Demenz haben: https://www.deutsche-alzheimer.de/
  • Factsheets zu Covid und Alter von hoher Qualität finden sich auch auf der Homepage des Deutschen Zentrums für Altersfragen: https://www.dza.de/index.html
  • Auch hält die Homepage der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie viele wichtige Infos bereit: https://www.dza.de/index.html

Autor des Webbeitrags: Hans-Werner Wahl