Risikowahrnehmung und Risikokommunikation in der Corona-Krise
Risiken verstehen
Anfang des letzten Jahres kannte noch kaum jemand den neuartigen Coronavirus-Erreger Sars-CoV-2, der sich weit entfernt in China verbreitete. Inzwischen schränkt das Coronavirus nicht nur unseren Alltag ein, sondern ist zu einer globalen Bedrohung mit großflächigen Konsequenzen geworden. Aufgrund der rasanten Ausbreitung von Sars-CoV-2 und der damit einhergehenden Erkrankung Covid-19 machen sich viele Menschen Sorgen um ihre Gesundheit und die ihrer Mitmenschen. Während Anfang 2020 noch nicht sicher war, ob sich das Coronavirus von China nach Europa verbreitet und ob es ein Risiko für Deutschland darstellt, hat sich die Lage mittlerweile drastisch verändert: Menschen sind erkrankt, es gibt zunehmend Todesfälle, Ende 2020 wurden die Geschäfte wieder geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Die Bevölkerung wird erneut dazu angehalten, möglichst wenig physischen Kontakt zu ihren Mitmenschen zu haben, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Das potentielle Risiko, dass sich das Virus auch in Deutschland ausbreiten könnte, hat sich mittlerweile zu einer Krise mit einer weiterhin steigenden Anzahl an erkrankten und verstorbenen Menschen entwickelt.
Was ist ein Risiko, was ist eine Krise?
Abbildung 1. Akute Schadensfälle (Krise) versus potenzielle Schadensfälle (Risiko) (Aus: Renner & Gamp, 2014).
Was ist Risikowahrnehmung?
Die Anzahl der mit dem Coronavirus infizierten Menschen ist – trotz der aktuellen Einschränkungen – immer noch auf einem sehr hohen Niveau. Ob wir uns jedoch persönlich durch die aktuelle Situation bedroht fühlen, hängt von unterschiedlichen Aspekten ab.
Auf der einen Seite versuchen wir sachlich und objektiv abzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass wir selbst oder Mitglieder unserer Familie erkranken und wie schwerwiegend eine solche Erkrankung wäre.
Auf der anderen Seite ist Risikowahrnehmung auch ein Gefühl; man fühlt sich bedroht oder macht sich Sorgen. Das muss nicht immer mit den Fakten oder der objektiven Lage übereinstimmen, sondern kann auch durch andere Aspekte beeinflusst sein.
Was beeinflusst unsere Risikowahrnehmung und wovon hängt sie ab?
Eigenschaften der Gefahrenquelle: Risiko ist nicht gleich Risiko
Ein wichtiger Aspekt ist die Neuartigkeit des Risikos. Gefährdungen, denen man tagtäglich ausgesetzt ist oder Risiken, die man gut kennt, werden oft unterschätzt, während das Risiko neuer, unbekannter Gefährdungen oftmals überschätzt wird.
Aber nicht nur die Neuartigkeit spielt eine Rolle, wenn es darum geht, wie wir Risiken wahrnehmen. Auch die Frage, ob wir das Gefühl haben, ein Risiko unter Kontrolle zu haben (z.B. “Ich bin eine gute Autofahrerin”), oder ihm freiwillig ausgesetzt zu sein (z.B. beim Fallschirmspringen), aber auch das Katastrophenpotential bzw. die sogenannte Schrecklichkeit der Folgen (Autounfall vs. Flugzeugabsturz) beeinflussen, wie gefährlich wir etwas wahrnehmen. Vor allem dann, wenn viele Menschen gleichzeitig betroffen sind, wie es in der aktuellen Krise der Fall ist, wird die Schrecklichkeit als hoch bewertet. Hierbei werden solche Risiken als weniger schlimm eingeschätzt, wenn wir den Eindruck haben, das Risiko kontrollieren zu können, uns dem Risiko freiwillig aussetzen, und es als wenig schrecklich beurteilen.
Informationsquellen, Unsicherheiten und ‘Fake News’
Informationen über die verschiedenen Aspekte eines Risikos können wir aus unterschiedlichen Quellen, wie z.B. über das Internet, Fernsehen, aber auch durch Gespräche mit anderen, bekommen. Außerdem finden wir auch in unserer Umgebung Hinweise darauf, wie risikoreich eine Situation sein kann oder welches Verhalten angemessen ist, wie z.B. durch Schutzmaßnahmen (Tragen von Atemschutzmasken, Abstandsregeln, etc.).
Im Falle des Coronavirus handelt es sich allerdings um einen neuen Erreger, über dessen Erkrankung und anschließenden Verlauf immer wieder neue Informationen hinzu kommen. Auch die Forschung steht erst am Anfang. Zu dieser Neuartigkeit und Unsicherheit kommt die globale Tragweite der Verbreitung hinzu. Gerade zu Anfang der Krise war daher die Verunsicherung in der Bevölkerung groß. Vor allem in den sozialen Medien bietet dies Raum für Spekulationen, Mythen und Gerüchte, rund um Herkunft, Verbreitung und Schutzmaßnahmen. Die Weltgesundheitsorganisation sprach in diesem Rahmen sogar von einer „massiven Infodemie”, einer Überschwemmung der Bevölkerung mit – korrekten, aber auch irreführenden – Informationen.
Wie können wir Risikoinformationen sinnvoll nutzen?
Um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren viele verschiedene Medien und Anbieter. Häufig werden deshalb emotionale oder dramatische Bilder und Überschriften eingesetzt. Wenn diese nicht in einen entsprechenden Bezug gesetzt werden, dann kann die Darstellung von Einzelfällen zu einer Fehleinschätzung der Gefahrenlage führen. Die Fülle und die teils widersprüchlichen Risikoinformationen erschweren es uns, ein sachgemäßes Bild von der Gefahrenlage zu erhalten. Generell hängt das Verständnis von Risikoinformationen, unsere Interpretation und nachfolgendes Verhalten davon ab, wie die jeweilige Information dargeboten wird. Wichtig zu unterscheiden ist, ob es sich um ein absolutes oder relatives Risiko handelt. Das absolute Risiko umfasst das Auftreten eines bestimmten Ereignisses, z.B. wie viele Personen an Covid-19 verstorben sind. Das relative Risiko beschreibt hingegen das Verhältnis von verschiedenen Personengruppen, z.B. wie viele Personen am Coronavirus erkrankt und wie viele Personen davon verstorben sind.
Veränderungen in der Risikowahrnehmung
Die aktuelle Lage in Bezug auf die Ausbreitung von Sars-CoV-2 ändert sich täglich: Die Anzahl der mit dem Coronavirus infizierten, die Anzahl der bereits genesenen, aber auch die Anzahl der aufgrund von Covid-19 verstorbenen Patienten steigt. Diese Veränderungen beeinflussen auch unsere Risikowahrnehmung. Unsere Risikowahrnehmung ist nicht statisch, sondern verändert sich auch durch die Erfahrungen, die wir machen und die Informationen, die wir aufnehmen.
Abbildung 2: Darstellung der bestätigten Infektionsfälle und wichtige Entwicklungen und Entscheidungen in Bezug auf die Verbreitung von Sars-CoV-2 in Deutschland. (Zahlen nach Informationen der John Hopkins University; siehe auch https://euclid.dbvis.de/home).
Repräsentative Erhebungsdaten aus dem EUCLID-Projekt zur Risikowahrnehmung und Verhalten im Zusammenhang mit der Coronavirus Pandemie der Universität Konstanz zeigen für Deutschland, dass sich seit Anfang April 2020 und mit variierenden Infektionszahlen auch die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung von Deutschland verändert hat.
Seit Beginn der EUCLID-Befragung (https://euclid.dbvis.de/home), Anfang Februar 2020 bis Ende März zeigt sich:
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Die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung hat über den Sommer abgenommen, steigt jedoch seit dem Herbst wieder an
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Anfang April hielten es 36% der Befragten für wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich, sich mit dem Virus anzustecken, im Juni waren es 14% und Anfang Dezember 18%
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Die meisten Befragten gehen davon aus, dass das Ansteckungsrisiko für andere größer ist als für sie selbst (optimistischer Fehlschluss)
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Die Sorge bezüglich einer Ansteckung hat über den Frühsommer leicht abgenommen, steigt jedoch seit dem Spätsommer an
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Anfang April waren etwa 31% der Befragten besorgt oder sehr besorgt sich mit dem Virus anzustecken, im Juni waren es nur 22%, Anfang Dezember ist der Anteil jedoch auf 40% gestiegen
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Die wahrgenommene Schweregrad einer Erkrankung ist über die Zeit gestiegen
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Anfang April sahen 27% der Personen eine Infektion mit dem Coronavirus als schwerwiegende oder sehr schwerwiegende Erkrankung für die Gesundheit, im Juni waren es bereits 29% und Anfang Dezember 34%
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Erwartete zukünftige Entwicklung und Konsequenzen für Deutschland
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Während Anfang April noch 66% davon ausgehen, dass sich die Situation in Deutschland innerhalb der nächsten drei Monate verbessern wird, sind es im Juni nur noch 46% und Anfang Dezember 19%
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Auf weltweiter Ebene sind die Erwartung noch etwas pessimistischer mit einer ansteigenden Anzahl an Teilnehmenden, die davon ausgehen, dass es frühestens in einem Jahr eine Besserung der Situation weltweit geben wird.
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Die Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass die Bevölkerung in Deutschland geringere gesundheitliche und wirtschaftliche Konsequenzen durch das Coronavirus zu fürchten hat als andere Länder
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Die ökonomischen Folgen der Krise werden als langfristig gravierender betrachtet als die gesundheitlichen Auswirkungen des Coronavirus; Eine große Mehrheit der Deutschen geht von schweren oder sehr schweren ökonomischen Folgen für Deutschland aus, während deutlich weniger schwerwiegende oder sehr schwerwiegende gesundheitliche Konsequenzen erwarten.
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Abbildung 3. Darstellung der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit, Sorge bezüglich einer Infektion mit dem Coronavirus und des wahrgenommenen Schweregrades im Falle einer Infektion sowie der erwarteten zukünftigen Entwicklung in Deutschland und weltweit im Verlauf von April (R1) bis Anfang Dezember 2020 (R11) in Deutschland (N = 33478).
Wo finde ich weitere Informationen?
- Auf der Seite https://euclid.dbvis.de veröffentlicht das EUCLID Team von der Universität Konstanz fortlaufend neue Ergebnisse dazu, wie Menschen die aktuelle Krise wahrnehmen.
- Informationen zum Virus selbst, wie Sie sich und andere schätzen können, finden Sie unter anderem auf den folgenden Seiten
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: infektionsschutz.de/coronavirus/
- Robert-Koch-Institutes (Frage- und Antwortseite): /www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste.html
- Weltgesundheitsorganisation (WHO):
who.int - Bundesinstitut für Risikobewertung:
bfr.bund.de/ - Bundesministerium für Gesundheit: bundesgesundheitsministerium.de
Referenzen und vertiefende Literatur:
Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at John Hopkins University (2020) Coronavirus COVID-19 Global Cases by Johns Hopkins CSSE. https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6. Zugegriffen: 09. April 2020
Debbeler, L., Wahl, D.R., Villinger, K., & Renner, B. (in press). Die Bedeutung der Gesundheitskommunikation in der Prävention und Gesundheitsförderung. https://link.springer.com/referencework/10.1007/978-3-662-55793-8
Gaissmaier, W., Wegwarth, O., Skopec, D., Müller, A. S., Broschinski, S., & Politi, M. C. (2012). Numbers can be worth a thousand pictures: individual differences in understanding graphical and numerical representations of health-related information. Health Psychology, 31(3), 286-296. https://doi.org/10.1037/a0024850
Gamp, M., Debbeler, L. J., & Renner, B. (2016). Risikokommunikation im Internet. In eHealth in Deutschland (pp. 421-440). Springer: Berlin
Renner, B., & Gamp, M. (2014). Krisen-und Risikokommunikation. Prävention und Gesundheitsförderung, 9(3), 230-238. https://doi.org/10.1007/s11553-014-0456-z
Renner, B., & Schupp, H. (2011). The perception of health risks (pp. 637-665). POxford University Press: New York
WHO (2020a) Novel Coronavirus (2019-nCoV) advice for the public: Myth busters. https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/advice-for-public/myth-busters. Zugegriffen: 09. April 2020
Autoren des Webbeitrages: Luka J. Debbeler, Deborah R. Wahl, Karoline Villinger, Julia Koller, Nadine C. Lages, Harald T. Schupp und Dr. Britta Renner
Aktualisiert am 16.12.2020 von: Dr.Karoline Villinger, Isabell Brünecke und Prof. Dr. Britta Renner