Tipps für Lehrerinnen und Lehrer aus der Lehr-Lern-Psychologie

Trotz Distanz zusammen ODER Lernen auf Distanz

Die Corona-Verordnungen der Landesregierungen stellen das Bildungssystem vor große Herausforderungen. Auch wenn die Schulen zum großen Teil wieder geöffnet sind, kann Fernunterricht noch immer den Lernalltag der Kinder und Jugendlichen bestimmen, deren Klassen aufgrund von Corona-Fällen in Quarantäne entsendet werden. Damit Lernen trotz Distanz gelingt, muss das Aufgabenmaterial angemessen aufbereitet sein. Allerdings müssen Schülerinnen und Schüler ihre Schulaufgaben auch fristgerecht und erfolgreich erledigen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass Schülerinnen und Schüler ausreichend motiviert sind. Sie als Lehrperson können viel dazu beitragen, diese Motivation auch aus der Distanz zu fördern. Wir haben ein paar Tipps aus der psychologischen Forschung zusammengefasst:

Schülerinnen und Schüler müssen sich eingebunden fühlen

Schülerinnen und Schüler verbringen typischerweise einen großen Teil ihres Tages in der Schule. Sie treffen dort ihre engsten Freunde und Bezugspersonen außerhalb der Familie. Da Schülerinnen und Schüler aber aktuell nur teilweise oder gar nicht in die Schule dürfen, vermissen sie diesen Kontakt zu ihrem Freundeskreis. Trotz vieler Kontaktmöglichkeiten innerhalb der Familie können sie sich häufig einsam und alleine fühlen, wenn das tägliche Miteinander und der Austausch im Freundeskreis fehlt bzw. eingeschränkt ist.

Diese Gefühle können dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler weniger direkten Austausch und Spaß an den Schulaufgaben haben und diese folglich weniger motiviert erledigen. Es ist somit wichtig, dass sie sich trotz Distanz eingebunden fühlen.

Die Forschung zeigt, dass das Gefühl, sozial eingebunden zu sein …

  • eine positive Stimmung erzeugt. Schülerinnen und Schüler, die Freundinnen und Freunde haben und von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern akzeptiert und wertgeschätzt werden, sind insgesamt zufriedener mit ihrem Leben.
  • die Gesundheit steigert. Gute Freundinnen und Freunde zu haben kann davor bewahren, oft krank zu werden. Auch depressive Gefühle können auf wenig soziale Eingebundenheit zurückgeführt werden.
  • die Motivation steigert. Gerade wenn Schülerinnen und Schüler stark in der Klasse oder Schule eingebunden sind, sind sie auch motiviert, wollen gute Leistung zeigen.

Was kann ich als Lehrkraft tun, um meine Schülerinnen und Schüler sozial einzubinden?

Tipp 1: Gruppenaufgaben gestalten

Verteilen Sie wenn möglich lieber Gruppenaufgaben (statt Einzelaufgaben) an Ihre Klasse. Dies fördert den Austausch untereinander und verstärkt das Gemeinschaftsgefühl. Hier können folgende vier Phasen umgesetzt werden (auch Jigsaw-Methode oder Gruppenpuzzle genannt):

  1. Sie als Lehrperson führen in die Thematik ein und teilen den Lernstoff in Teilgebiete ein. Für jedes Teilgebiet gibt es eine Expertengruppe (eine Teilgruppe Ihrer Klasse).
  2. Die Expertengruppen erarbeiten sich selbständig das Themengebiet (z.B. anhand vorgegebener oder selbstgesuchter Materialien).
  3. Anschließend reorganisieren sich die Expertengruppen in Lerngruppen. In diesen Lerngruppen ist für jedes Themengebiet ein Experte vorhanden. Diese vermitteln dann ihr Wissen an die gesamte Lerngruppe.
  4. Zuletzt wird das gesammelte Wissen in den Lerngruppen aufbereitet. Beispielsweise kann jede Lerngruppe ein Poster gestalten oder einen Aufsatz verfassen, das die verschiedenen Teilgebiete integriert.

Der Austausch zwischen den Gruppen kann virtuell über Gruppenchats oder Videounterricht mit Skype (oder ein anderes Programm, z.B. Schoolfox https://schoolfox.com/de/Handbuch_Video.pdf) organisiert werden. Wichtig ist hier natürlich, dass alle Gruppenmitglieder technisch auf dem gleichen Stand sind (und das gleiche Programm nutzen; konkrete Vorschläge finden Sie hier: https://www.bitkom.org/Themen/Bildung-Arbeit/Anwendungen-digitaler-Unterricht). Dies sollte man im Vorfeld erfragen und ggf. nach Alternativen Ausschau halten.

Tipp 2: Lerngruppen vorschlagen

Gerade wenn eine Prüfung bevorsteht, können Lerngruppen hilfreich sein. Um die Bildung von Lerngruppen zu unterstützen, können Sie als Lehrperson entweder Lerngruppen vorschlagen oder eine Liste verwalten, auf die sich die Schülerinnen und Schüler eigenständig eintragen und so zu Lerngruppen selbst zusammenfinden können.

Tipp 3: Peer-Tutoring initiieren und begleiten

Schülerinnen und Schüler können sich untereinander beim Erarbeiten von Aufgaben oder beim Vorbereiten auf eine Prüfung unterstützen und somit als Tutor oder Turoiin tätig werden. Sie als Lehrperson können diese Methode des Peer-Tutoring unterstützen, indem Sie gezielt potenzielle Tutoren und Tutorinnen ansprechen und den Kontakt zu Schüler und Schülerinnen aufbauen, die gut Unterstützung gebrauchen können. Sie können sich als Ansprechperson bei Fragen oder Problemen zur Verfügung stellen.

Tipp 4: Regelmäßig Kontakt suchen und um Kontakt bitten

Vermutlich haben Sie diesen Tipp bereits von vielen Seiten gehört: Halten Sie z.B. regelmäßig Videokonferenzen mit Ihrer Klasse ab. Dies ist eine gute Möglichkeit, um die gesamte Klassengemeinschaft zusammenkommen zu lassen.

Wenn Sie in einer Videokonferenz Lernstoff besprechen möchten, eignet sich die Methode des Flipped Classrooms besonders: Hierfür bitten Sie die Schülerinnen und Schüler, vorab den zu besprechenden Lernstoff selbständig zu erarbeiten (z.B. Lesen eines Textes oder einer Materialsammlung) und sich Fragen zu notieren. Anschließend wird der Lernstoff in der Videokonferenz besprochen und vertieft. Sie können Ihre Schülerinnen und Schüler zudem im Vorfeld bitten, Ihnen drei Fragen zukommen zu lassen. In einer Lernplattform (wie Moodle) können die Fragen online in einem Forum gepostet werden und als Leitlinie für die Videokonferenz dienen.

Diese Vorschläge stellen gewisse technische Voraussetzungen: Alle Schülerinnen und Schüler müssen teilnehmen können. Andernfalls können Sie den Kontakt zu Ihren Schülerinnen und Schüler auch über Telefonate suchen. Die Bundesregierung hat im Zuge eines neuen Sofortprogramms für Schulen mehrere hundert Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um mobile Endgeräte für Schülerinnen und Schüler beschaffen zu können (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/digitalpakt-schule-1753308).

Oftmals reicht es auch schon, wenn Sie als Lehrperson Ihre Schülerinnen und Schüler explizit bitten, sich bei Ihnen zu melden. Allein das Signal, dass Sie bei Fragen und Problemen bereitstehen, kann ein Gefühl der Eingebundenheit erzeugen.

Tipp 5: Erfahrungsberichte sammeln und verteilen

“Was tust du, um mit anderen in Kontakt zu bleiben?” Diese Frage können Sie Ihren Schülerinnen und Schüler stellen und sie um einen kurzen Erfahrungsbericht bitten. Wichtig ist, dass die Erfahrungsberichte anschließend an die anderen Klassenmitglieder verteilt werden. Die Schülerinnen und Schüler sollten beim Verfassen des Erfahrungsberichts darüber informiert werden, dass dieser an alle weitergegeben wird.

Beim Schreiben wird den Schülerinnen und Schülern bewusst, dass sie die soziale Isolation überwinden können bzw. teilweise schon überwunden haben.

Beim Lesen der anderen Erfahrungsberichte kann man erkennen, dass auch andere Gefühle der Einsamkeit erleben und wie andere damit umgehen. Ein Gemeinschaftsgefühl kann entstehen.

 

Hinweis: Bestimmte Schülergruppen sollten besonders eingebunden werden

Einigen Schülerinnen und Schülern gelingt es mit Sicherheit auch während der geforderten sozialen Distanzierung mit ihren Freundinnen und Freunde oder Klassenkameraden in Kontakt zu bleiben. So können sie z.B. täglich mit ihren Freundinnen und Freunden über soziale Medien miteinander reden und sich untereinander über z.B. Schulaufgaben austauschen.

Bei jüngeren Kindern kann dies schwieriger sein. Gerade wenn sie kein eigenes Handy oder einen eigenen Computer haben, sind jüngere Kinder immer auf ihre Eltern angewiesen, wenn sie mit Freundinnen und Freunden sprechen möchten.

Auch bei Schülerinnen und Schülern, die zu Hause kein Internet oder keinen Computer haben, gestaltet sich das Kontakthalten mit Freundinnen und Freunde oder anderen aus der Klasse als schwierig. Hinzu kommt, dass diese Schülerinnen und Schüler nur schwer über digitale Kommunikationskanäle Aufgaben erhalten oder an virtuellem Unterricht teilnehmen können. Das kann sie im Lernstoff weit zurückwerfen und das Gefühl verstärken, alleine dazustehen.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen, die es im bisherigen Schulalltag schwer hatten, Freundinnen und Freunde zu finden, können sich jetzt besonders ausgeschlossen und alleine fühlen. Für diese Kinder und Jugendlichen ist es besonders wichtig, dass Sie als Lehrperson trotz sozialer Distanzierung für sie da sind.

 

Weiterführende Literatur

Schlote, E., Klug, D., & Neumann-Braun, K. (2020). Mittendrin statt nur dabei. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 17, 507-529.

Wößmann, L. (2020). Folgekosten ausbleibenden Lernens: Was wir über die Corona-bedingten Schulschließungen aus der Forschung lernen können. ifo Schnelldienst, 73(06), 38-44.

 

Literaturhinweis

Hänze, M., & Berger, R. (2007). Kooperatives Lernen im Gruppenpuzzle und im Lernzirkel. Unterrichtswissenschaft, 35(3), 227-240.

Renkl, A. (1997). Lernen durch Lehren in kooperativen und tutoriellen Arrangements. In A. Renkl (Hrsg.), Lernen durch Lehren (S. 9-27). DUV: Psychologie. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.

Walton, G. M., & Cohen, G. L. (2011). A brief social-belonging intervention improves academic and health outcomes of minority students. Science, 331(6023), 1447-1451.

 

Autoren: Tamara Marksteiner & Veit Kubik